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Was man als Radfahrer:in auf dem Weg nach Amsterdam lernt – niederländische Radinfrastruktur im
Detail

Im Rahmen der Schokofahrt #11, die ich als Solotour aus Paderborn nach Amsterdam bestritten habe, war ich über 300 km in den Niederlanden unterwegs. Ich habe etwas Zeit gebraucht, um die Eindrücke und großen Unterschiede in Wort und Schrift abzubilden. Ich werde versuchen, weniger den kritischen Vergleich zu suchen, sondern die vielen liebevollen und durchdachten Detaillösungen hervorzuheben.

Allgemeine Unterschiede

Den Einstieg machen die generellen Unterschiede zum deutschen „System“. Da fallen einem direkt zwei Dinge auf: Roller, Mofas, E-Bikes und Fahrräder teilen sich die Infrastruktur. Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht schwierig oder problematisch an, zeigte sich im Umgang aber sehr schnell und einfach zu verstehen. Der zweite große Unterschied ist das Verhältnis zwischen Fußgängern und Radfahrern. Die Infrastruktur favorisiert klar und deutlich den Verkehr mit Rädern. Dies bedeutet das die Rollen getauscht werden: Der Fußgänger hat auf den Zweiradverkehr zu achten und nicht umgekehrt. Dies hat einen starken und leicht unerwarteten Hebel auf Begegnungen in Engstellen und in ländlichen Regionen. Das die Infrastruktur seit Jahrzehnten mitgedacht wurde und in das Gesamtkonzept von Anfang an integriert ist, stelle ich als bekannt und zu erwarten fest.

Fahrgefühl

Bevor ich gezielt auf die vielen Details eingehen möchte, versuche ich in ein paar Zeilen das
Fahrgefühl einzufangen. Das erste was mir da in den Kopf schießt ist der Begriff Freiheit. In
Deutschland bedeutet Freiheit auf der Autobahn nachts „durchzuladen“. Für mich, als jemand der 90 % seiner Mobilität mit dem Fahrrad oder Lastenrad bestreitet, waren schon die ersten Meter eine große Freude. Es ist schwer zu erklären, wie oft ich mich gefreut habe über gut organisierte Kreuzungen, ersichtliche Radwege und eine klare Struktur über alle Städte hinweg. Wenn man immer weiß, wo man fahren soll, größtenteils geschützt ist vor öffnenden Autotüren und Kollisionen mit Fußgängern, dann fühlt und merkt man wie viel Ballast beim Fahren einem abgenommen wird. Man ist eben nicht auf einem gezeichneten Seitenstreifen unterwegs, wo man als Problem empfunden wird, sondern gehört zu 100 % zum Mobilitätsmix der Infrastruktur. Auch die vermeidliche Schwäche im Falle einer Kollision mit Auto und LKW wird bedacht. Was ich damit meine? Man fährt nicht auf Radwegen, die sich bei jeder Einzelhauseinfahrt senken und heben, sondern ist immer angehoben. Jeder Kreuzungsbereich zeigt klar und deutlich, dass die Radfahrer und Fußgänger durch deutliche Geschwindigkeitsreduktionen geschützt werden! In gewisser Weise war dies eine Reise durch eine utopische Zukunft für Deutschland, aber die Erfahrung auf langen Wegen prägt einen nachhaltig, wenn man z. B. mit 15 Radfahrer:innen an der Ampel steht und sich fragt: Warum nicht auch genauso in Deutschland?

Was zeichnet niederländische Radinfrastruktur aus?

Ein klarer Plan. Hört sich simple an, ist aber der wohl wichtigste Unterscheid zu Deutschland.
Radinfrastruktur gehört seit Jahrzehnten fest in die Planungen von Fahrstrecken und Städten und Dörfern. Jetzt kommt die Frage auf, aber wir planen das in Deutschland doch auch von Anfang an mit? Der Unterschied macht die klare Struktur in Kombination mit einer festen Zielsetzung. Als Radfahrer war ich auf über 330 km Strecke höchstens 5 km auf keiner spezifischen und ausgewiesen Infrastruktur unterwegs. Ob Stadt, 100-Personen-Dorf, Industriegebiet: es ist immer Infrastruktur vorhanden. Der zweite Punkt: Egal welche Region, egal welche Stadt oder wer verantwortlich ist: Alle Radwege funktionieren nach demselben Prinzip, haben dieselben Beschilderungen und sind immer zu verstehen. Um doch mal den Vergleich zu wagen, auf den ersten 5 km nach der Grenze wurde ich fast von einem Handwerker platt gefahren (Rechtsabbieger mit Anhänger auf der Landstraße) und wusste mindestens drei mal nicht, wo genau ich fahren soll, weil der
Radweg ständig zwischen allen drei Modi gewechselt hat (Radweg, Gemeinschaftsweg mit
Fußgängern und 'Striche auf der Straße'). Bilder sagen an dieser Stelle mehr als tausend Worte,
deshalb habe ich ein paar Beispiele rausgesucht, die die Unterschiede verdeutlichen sollen:

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Was habe ich gelernt?

Die erste Erkenntnis ist erstmal ernüchternd: Wir werden auch mit den größten Anstrengungen in den nächsten zehn Jahren diese Qualität und vor allem die hohe Konsistenz nicht erreichen. An vielen Stellen fehlt es schlicht an Platz, der nicht geschaffen werden kann. Auf der Kehrseite gibt es viele Dinge, die in den nächsten Jahren umsetzbar sind. Eine bundesweite einheitliche Struktur und Vorgabe für Radwege. Klare Vorgaben welche Qualitäten ein Radweg erfüllen muss. Für mich ist insbesondere bei Neubauten die Fahrwegsbreite deutlich zu schmal gewählt. Es braucht zwei Meter, um sicheren Begegnungsverkehr zu ermöglichen. Wir bauen in Deutschland oft nur 1,5 Meter und das führt jedes Mal zu Ausweichmanövern. Gerade in Anbetracht der steigenden Nutzerzahlen von Lastenrädern und Anhängern ein wichtiger Punkt! Ich will immer genau verstehen und wissen, wo ich zu fahren habe. Es kann nicht sein, dass ich auf unter einem Kilometer, insbesondere in Innenstädten (Münster war auch dabei) erst im Gegenverkehr auf einem Radweg fahre, dann die Seite wechseln soll, um nur kurze Zeit später auf der Straße fahren zu müssen. Das muss alles, leider auch mit viel Geld, aufgeräumt und strukturiert werden. Das es sich lohnt, zeigen unzählige Studien aus den Niederlanden. Wenn man eine funktionierende und leicht verständliche Infrastruktur schafft, kann das Zweirad seine Vorteile ausspielen und wird für viele Fahrstrecken unter zehn Kilometern zur ersten Wahl! Im aktuellen Fahrwegdschungel gibt es viele gute Gründe sich gegen das Rad zu entscheiden. Und das leider zu Recht!

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