Paderborn hat ein Mobilitätsproblem: Die Innenstadt ist überfüllt mit Autos. Nicht ohne Grund ist die Kernstadt Paderborn Staukönig in OWL: Ganze 23 Stunden verbringen Bürger:innen im Stau pro Jahr!
Darunter leidet nicht nur die Lebensqualität der Einwohner, sondern auch der Einzelhandel und alle beteiligten Gewerke und Dienstleister. Der
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Paderborn hat hierzu mehrere Lösungsansätze erarbeitet, auf die wir gerne eingehen wollen. Dabei ist die Headline für uns nicht "Radikale Einschnitte für Autofahrer in Paderborn" (Westfalen Blatt), sondern wir versuchen den Blickwinkel weiter zu fassen und prüfen, ob die Maßnahmen zu einer Verbesserung der Mobilität beitragen können. Sei es zu Fuß, auf dem Lastenrad oder mit dem ÖPNV.
Paderborner Stadtring als Einbahnstraße?
- Auswirkungen auf den Individualverkehr
Radikale Probleme benötigen radikale Maßnahmen? Was auf den ersten Blick für viele ein absolutes Tabuthema ist, wird mit dieser Maßnahme vorgeschlagen: Der individuelle private Autoverkehr soll drastisch reduziert werden und durch die Teilsperrung des Stadtrings in Kombination mit einer Einbahnstraßenregelung deutlich unattraktiver gemacht werden.
In erster Linie ist der individuelle Verkehr mit dem Auto ineffizient. Der Besetzungsgrad (Personen pro Auto) ist in Deutschland konstant bei 1,5. Auf dem Weg zur Arbeit sogar nur 1,2 Personen pro Fahrzeug. Dabei geht es mir im Kern nicht um den Energieverbrauch, sondern im Bezug auf die Innenstadt von Paderborn um den Platzbedarf. Jedes Auto, welches in die Innenstadt gefahren wird, verbraucht während der Fahrt und am Zielort 7,5 m² - 10,0 m² (Tendenz steigend). Im Vergleich dazu reduziert sich der Flächenverbrauch bei ÖPNV, Cargobike und Fußverkehr drastisch um bis zu 75 %. Dies würde bedeuten, dass wenn alle privaten Autofahrten durch die genannten Alternativen ersetzt werden würden 70 % der Innenstadtstraßen vom Verkehr befreit werden würden, einfach nur durch den Platzspareffekt der jeweiligen Alternativen. Natürlich ist dies eine utopische Annahme. Es gibt immer Gründe für individualen Verkehr mit dem PKW. Aber nicht ohne Grund werden in Paris und Barcelona vergleichbare Maßnahmen bereits umgesetzt. Beide Städte heben sich durch das enormes Tempo der Umsetzung hervor und zeigen kurz nach der Implementierung eine spürbare Veränderung der urbanen Mobilität hin zur Micro-Mobilität mit E-Rollern, Fahrrädern oder gleich ohne Fahrzeug. Die gebotene Infrastruktur ist der größte Entscheidungsfaktor! Mehr PKW-Straßen bedeutet nachweislich mehr PKW-Verkehr. Im Umkehrschluss zeigen vor allem Städte in den Niederlanden wie Utrecht, dass der Verkehr sich parallel zur Infrastruktur wandelt. Utrecht wurde schon mehrfach dafür ausgezeichnet, eine hochwertige Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr zu bieten. Hervorzuheben ist das größte Fahrradparkhaus Europas!
Die genannten Maßnahmen können somit als ein starkes Signal gesehen werden, den Fuß-, Rad- und ÖPN-Verkehr deutlich zu stärken und Platz für soziale Räume zu schaffen!
Allein die Vorstellung eines Spielplatzes auf einen der Liboriberg-Parkplätze lässt mich schmunzeln. Natürlich fordert ein solcher Schritt eine starke Veränderung der persönlichen Gewohnheiten. Genau an dieser Stelle müssen wir uns als Paderborner:innen aus der Komfortzone heraustrauen und den Alternativen eine faire Chance geben. Hier müssen die Stadt und Unternehmen aktiv an Optionen zum testen und verstehen arbeiten. Erst wenn ein großes Angebot an Testmöglichkeiten geschaffen wird, wird die Hürde zum Umstieg auf Alternativen zum Auto ermöglicht.
Am Ende profitieren wir alle vom reduziertem PKW-Verkehr: Schnelleres Ankommen, weniger Emissionen und mehr Platz für Grünflächen und Soziale Räume.
Hilft die Reduktion der Parkplätze in der Innenstadt?
- Was sind die Alternativen?
Viele Studien zeigen, dass der Besitz des eigenen Autos auf Kosten der Allgemeinheit geht. Insbesondere der Platzbedarf durch öffentliche Parkflächen sorgt für hohe Kosten und eine Überfüllung der Innenstädte. Deshalb ist die Idee, Seitenparkplätze in der Innenstadt deutlich zu reduzieren, zu begrüßen. An dieser Stelle müssen aber auch Alternativen geschaffen werden. Es wird über die nächsten Jahren immer Menschen oder Unternehmen geben, die ohne Auto nicht auskommen können. Eine gute Möglichkeit dafür wäre der starke Ausbau des Auto-Sharing Angebotes. Unterschiedliche Studien zeigen, dass ein geteiltes Auto im besten Fall bis zu 30 Fahrzeuge ersetzten könnte. Diese Zahl erscheint uns utopisch, zeigt aber das große Potenzial, welches in Konzepten rund um die geteilte Mobilität steckt. Selbst wenn ein Sharing-Auto nur fünf private Fahrzeuge äquivalent ersetzt, würde dies eine sehr hohe und positive Auswirkung auf den Flächen- und Platzbedarf in der Innerstadt haben. Aktuell haben 89% der Haushalte in Paderborn einen dauerhaften Zugang zu einem PKW. Hier sollte die geringe Auslastung der Fahrzeuge bedacht werden (90%+ Standzeit, Durchschnittlich 6km Fahrstrecke am Tag).
Ähnliche Vorteile ergeben sich auch im Bereich der Micro-Mobilität. Lastenräder, Fahrräder und E-Scooter können ihren Beitrag leisten die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren und in Kombination mit Sharing-Angeboten die Nutzungshürde doch kostspielige Anschaffung drastisch reduzieren.
Wiederholt zeigt sich, dass wir alte Denkmuster durchbrechen und neue Wege wagen müssen. Wir müssen nur alle Mobilitätsangebote einbinden und die jeweiligen Stärken nutzen und gezielt vernetzten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Micromobilität stark unterschätzt wird. Auf der einen Seite wie leistungsfähig diese sein kann, aber auch wie komfortabel und spaßig das Radeln in Paderborn ist.
Microdepot als Allheilmittel?
- Wie kann die Innenstadt effizient und effektiv beliefert werden?
Der letzte Punkt, auf welchen ich eingehen möchte, ist der Lieferverkehr rund um die Kernstadt Paderborn. In erster Line sollte eine Einordnung stattfinden: ~65 % des Innenstadtverkehrs ist dem privaten Sektor zuzuordnen. Sei es der Arbeitsweg, Kindertransport, Besorgungen oder Besuche. Ein weiterer großer Baustein (~10 %) des Verkehrs ist die Gemeinde selber. Darunter fallen Entsorgung, Reinigung und alle Fahrten die zwischen den verschiedenen Abteilungen erfolgen. Der Baustellenverkehr schnappt sich, in Kombination mit dem städtischen Verkehr, weitere ~5 %. Handwerk und Dienstleister etwa 5 % und Schlusslicht sind die Kurier-Express-Paket-Dienstleister (~5%) als auch die Stückgutlogistik (~5 %). Diese Angaben sollten als grobe Einschätzung dienen. Zwischen den genannten Gruppen gibt es Schnittmengen und Verflechtungen, die je nach Betrachtung die Aufteilung verschieben.
Im Kern zeigt sich ein klarer Trend ab: Die Logistik und insbesondere die KEP-Dienstleister sind nur ein Baustein des gewerblichen Verkehres. Hier benötigt es eine ganzheitliche Betrachtung und Ausrichtung der zukünftigen Planung. Ja, ein Microdepot kann es den KEP-Diensten ermöglichen Transporte auf Lastenräder oder vergleichbare Kleinstfahrzeuge zu verlegen. Dies wird aber immer eine untergeordnete Rolle spielen. Wer sich z. B. die Standorte von DHL und Amazon in Mönkeloh anschaut weiß, dass mehrere hundert Fahrzeuge im Kreis Paderborn der jeweiligen Anbieter unterwegs sind. Ein unterschätzter Faktor in dem Zusammenhang sind das Handwerk und Dienstleister. Ähnlich der KEP-Branche können Dienstleister Microdepotstrukturen nutzen, um Arbeitswege zu reduzieren und Transportmittel zu verkleinern z. B. vom Kleintransporter zum Lastenrad.
Deshalb sehen ich alle gewerblichen Verkehrsteilnehmer in der Pflicht. Sei es der Handwerker oder Berater der mit dem Lastenrad Aufträge und Kunden in der Innenstadt anfahren kann, oder die Sozialarbeiter, die mit dem ÖPNV zu Hausbesuchen unterwegs ist. Der generelle Trend sollte hier weg vom Dienstwagen, hin zu angepassten Lösungen für die jeweilige Transportaufgabe sein. Hier können Mobilitätsbudgets ein sehr gutes Mittel sein, eine individuelle Mobilitätswahl im Arbeitsalltag zu ermöglichen. Aktuelle Daten von Paderborn zeigen, dass gewerbliche Fahrten bis zu 90 % mit dem PKW erfolgen. Zudem ist in dem Zusammenhang die Gewohnheits- und Vorbildfunktion nicht zu unterschätzen. Wenn Unternehmer mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass alternative Mobilitätslösung funktionieren können sich dies sehr positiv auf den privaten Sektor auswirken.
Fazit
Die Maßnahmen zeigen einen starken, für mich unerwarteten, Handlungswillen. Die angesprochen Ideen und Kernthemen zeigen ein Verständnis für die aktuellen Mobilitätsprobleme in Paderborn und geben mir damit die Hoffnung, dass eine Verkehrswende in Paderborn möglich ist. Natürlich wird über die Vorschläge diskutiert und es werden sich einige eingeschränkt und benachteiligt fühlen, vielleicht sogar ihrer "Freiheit" beraubt. Als jemand der keine generelle Abneigung gegenüber dem PKW hat, sehe ich hier aber eine große Chance, die Innenstadt langfristig zu entlasten und aufzuwerten. Mehr Raum für Grünflächen, soziale Räume und das Leben als solches werden die Innenstadt von Paderborn positiv verändern und nebenbei den Wirtschaftsstandort stärken. Bei einer durchdachten Durchführung im Dialog mit den ansässigen Bürger:innen und offenen Testangeboten von Alternativen zum PKW sind die geforderten Maßnahmen umsetzungsfähig. Davon bin ich fest überzeugt. Gemeinsam Mobilität neu gestalten!
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Grundsätze
Zielkonzept
Präsentation
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